Unweit der Burg Kreuzen führte ein dunkler, einst gefahrvoller Weg durch die Schlucht. Wer den Weg meiden konnte, mied ihn auch, hausten doch in alten Zeiten Bären und Wölfe in den felsigen
Höhlen. Sie suchten ihre Beute bei Nacht auf den umliegenden Höfen, und wer abends unbedacht eine Stalltür offen ließ, der fand am nächsten Morgen grauenhafte Spuren von Wolfs- oder Bärenpranken
und sah sich oft seines fettesten Schafes oder seiner besten Kuh beraubt. Kein Wunder deshalb, dass sich bei Dunkelheit niemand gern in die Gefahr begab, selbst Opfer der hungrigen Bestien zu
werden. Einmal, als die Sonne ihre letzten Strahlen auf die Burg Kreuzen war und die Türme wie goldene Riesen Wacht hielten, wurde der damalige Schlosskaplan zu einem Sterbenden gerufen. Der
getreue Diener Gottes dachte weder an Gefahr, noch zeigte er Furcht vor dem Gang durch die gefährliche Schlucht. Er brachte dem Todkranken die letzte Wegzehrung und verrichtete die Sterbegebete.
Beruhigt und dankbar gegen Gott machte sich der mutige Kaplan auf den gefahrvollen Heimweg. Plötzlich sah er sich von einem mächtigen Bären verfolgt. Der Geistliche sprang über Wurzeln und
Steine, über Felsen und Baumstämme, der Bär immer hinter ihm her. Auf einmal war jeder Weg zu Ende und der mutige Kaplan stand auf einem Felsen, unter dem sich in schwindelnder Tiefe der
rauschende Bach seinen wilden Weg bahnte. Kurz entschlossen wagte er den gefährlichen Sprung. Dadurch wurde er gerettet, denn der blutgierige Bär sprang zu kurz und stürzte in die grausige Tiefe.
Der Geistliche verlor aber ob dieses Schreckens die Sprache. Im Stillen gelobte er, als Einsiedler in der Schlucht zu leben, wenn er seine Sprache wieder erlangte. Gott erhörte seine Bitte und
schenkte ihm die Sprache wieder. – bis in die heutige Zeit ist die Stelle erhalten, an der die Einsiedlerklause gestanden sein soll, und der Felsen hat bis heute noch den Namen „Bärensprung“.
Verfasser: unbekannt